2015 haben wir München den Rücken gekehrt und sind mit unseren beiden Kindern ins Allgäu gezogen. Der Abschied fiel mir nicht schwer, München war mir zu voll und zu laut geworden.
Was habe ich in den ersten Monaten im Allgäu die frische Luft aufgesaugt, die Sonnenstrahlen und das Licht genossen. Überall Natur, wohin man blickt Grün, Berge oder Kühe. Vor allem aber habe ich auf einmal Raum: Die Kinder können rennen und ich muss nicht jede Sekunde panisch schreien „Vorsicht, Radweg! Achtung, da fährt ein Auto raus! STOOOOPP!!!! Straße! Achtung ein Hunde-Stinker!“
Jetzt heißt es eher „Egal, ist nur ein Kuhfladen“. Wir sehen Tiere und müssen dafür nicht in den Tierpark gehen. Wir können laufen, kilometerweit, ohne Ampeln, Autos und allzu viele Menschen. Wir können im Wald allein sein und die Stille genießen. Einfach auftanken. Wir fahren mit dem Rad nur wenige Minuten und sind am See, wo es, egal zu welcher Tageszeit, sogar Liegeplätze für eine ganze Familie gibt. Wir können auch mal schnell etwas mit dem Auto erledigen und müssen nicht kilometerweit vorm Ziel parken, weil gerade dort einer der letzten Parkplätze frei ist. Nein, die Parkplätze gibt es meistens direkt vor der Tür, und das für 20-30 Minuten sogar kostenlos (!).
Ich würde es mir nicht mehr anders wünschen. Mein größter Wunsch ist es, mit meiner kleinen Familie hier im Städtle bleiben zu können.
Laufen zu jeder Tages- und Nachtzeit
Es mag für manche ein wenig komisch klingen, aber ich vermisse meine Städtläufe, und das, obwohl wir hier in einer richtig sportlichen Stadt leben. Das ist eine der Schattenseiten vom Leben im Grünen: weniger Menschen bedeutet auch Einsamkeit beim Laufen. Im Sommer mag das schön sein, im Winter aber ist es dunkel, viel dunkler als in München. Mit einer richtig guten Stirnlampe oder Laufpartnern ist das natürlich machbar, aber besonders prickelnd finde ich es immer noch nicht, wenn ich links und rechts des Lichtkegels nur schwarz sehe – abgesehen von den leuchtenden Augen, die man ab und an im Wald erspäht und der damit verbundenen Frage „gibt es sicher keine gefährlichen wilden Tiere und Bären im Allgäu?“.
In München trifft man IMMER Läufer: um 5 Uhr morgens und 22 Uhr abends, in der Innenstadt gleichermaßen wie auf den Isartrails. Mein Lieblingslauf führt durch die hell erleuchtete Stadt entlang der Isar, immer weiter Richtung Grünwald. Abends wird es dort natürlich auch sehr schnell sehr dunkel. Wir wurden oft von Fledermäusen begleitet und trafen Füchse an (was bei mir dann doch leichte Panikattacken auslösen kann). Zurück wurde es meistens noch wilder, tauchten doch aus dem dunklen Nichts heraus gerne vereinzelt Läufer mit ihren Stirnlampen auf. Ab Harlaching mischte sich Löwengebrüll aus dem Tierpark unter diese doch recht einmalige Stimmung. Diese Läufe werde ich nie vergessen.
Ich vermisse die Flexibilität laufen gehen zu können, wann immer es mir in den Sinn kommt, und mich dabei immer sicher zu fühlen. Die Wahl zu haben zwischen Wildnis und Sight-Jogging at night, zwischen flacher Asphaltstrecke und kleinen Trails. Selten bin ich so abwechslungsreiche lange Läufe von 25 km und mehr gelaufen wie in München.
Die Isar: ein Stück wilder Melting Pot
Überhaupt fehlt mir die Isar. Kaum ein Fluss hat mir bisher auch nur annähernd diese Lebensqualität geben können. Ob Steine werfen mit den Kindern, mit den Füßen durchs kalte Wasser waten, ein Picknick machen oder im oberen Flußlauf mit dem Schlauchboot cruisen.
Es ist gar nicht so lange her, da war ich zu Besuch in München und stand am Flaucher. Es ist unglaublich, wie viele unterschiedliche Menschen dort zusammenkommen und weitestgehend harmonisch ihre Freizeit miteinander (oder auch nebeneinander) verbringen. Neben den Nackedeis feiern Studenten ihre Partys, spielen Kinder im Wasser und trinken Punks ihr Bier. Ja, die Grillluft ist schrecklich, aber trotzdem konnte ich mich kaum losreißen. München steht für mich für Toleranz, für eine Stadt, in der jeder sein kann, wie er mag.
München: kurze Strecken und viele Fahrradwege
München ist ein Dorf, ein echtes Fahrrad-Dorf. Im Endeffekt kann man überall hin mit dem Fahrrad fahren. Ich liebte es, entlang der Isar in die Arbeit zu fahren, und auf dem Weg zur gleichen Uhrzeit immer wieder den gleichen Menschen zu begegnen. Da waren zu Beispiel die beiden Angler am Deutschen Museum oder der ältere Herr, der jeden Tag mit seinem kleinen Transitorradio unterm Arm walken war.
Das Auto habe ich kaum benutzt – notgedrungen, denn Parkplätze gibt es ja nur bedingt (vom Stau mal ganz abgesehen). Und doch habe ich es nicht vermisst, denn es war selbstverständlich für mich, dass ich das Rad nehme oder laufe, auch gerne mal über 10 km. Selbst im Winter gab es keinen Grund auf Auto oder U-Bahn umzusteigen. Die Wege waren schon früh morgens perfekt geräumt. Am funktionierenden Radwegenetz Münchens können sich viele Städte (auch kleine) wirklich eine Scheibchen abschneiden.
Freizeitangebote ohne Ende – auch für Familien
Und dann ist da natürlich die irre Auswahl an Freizeitangeboten. Schlechtes Wetter? Egal! So lange man mit der Qual der Wahl umgehen kann: Verkehrsmuseum? Oder doch lieber ins Deutsche Museum oder in die Pinakothek? Sealife, Hellabrunn, Poing, Blindham oder lieber Kultur und ins Kasperletheater? Von den vielen Indoor-Spielplätzen, Cafés und Shopping-Möglichkeiten einmal ganz abgesehen.
Sind wir früher am Wochenende in die Berge gefahren, um uns zu entspannen, ist es jetzt umgekehrt: Wir fahren ab und an mal in die Stadt, um uns von den Freizeitangeboten auf engem Raum berauschen, inspirieren und bespaßen zu lassen.
Kulinarische und kulturelle Abwechslung
Und weil wir schon beim Thema „enger Raum“ sind: In unserem Viertel in München gab es auf engstem Raum so viele Lokale mit ihrer einzigartigen Küche, dass wir uns manchmal gar nicht entscheiden konnten, worauf wir jetzt eigentlich Lust haben. Bayrisch? Griechisch? Italienisch? Spanisch oder Französisch? Doch lieber Vietnamesisch? Oder holen wir etwas beim Libanesen? Alles, wohlgemerkt, fünf Minuten fußläufig. Waren wir abends zu müde oder zu faul, gönnten wir uns regelmäßig den Luxus, uns etwas zu holen.
Seit wir ins Allgäu gezogen sind, sind wir kulinarisch extrem gefordert: Wir müssen viel häufiger selbst aktiv werden und kreativ kochen. Meistens macht es Spaß, häufig aber ist es einfach nur umständlich. An jenen Abenden sehne ich mich oft nach Sendling zurück, wo ich bis spät abends innerhalb weniger Minuten einkaufen oder leckeres Essen besorgen, und früh morgens ohne Auto oder größere körperliche Anstrengungen frische Semmeln besorgen konnte.
Und nun?
Nein, ich möchte nicht mehr zurück nach München ziehen, auch in keine andere Großstadt mehr. Dafür habe ich das Allgäu und seine Bewohner viel zu sehr lieben gelernt. Aber München werde ich mitsamt seiner Grantler für immer in meinem Herzen tragen. Es war eine schöne Zeit. Danke, liebes München!
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